Georg Forster kritisierte Immanuel Kant mindestens so stark, wie Johann G. Herder Voltaire kritisierte. Forster und Herder erachten beide die europäische Kulturstufe als das Maß der Dinge. Doch da sind Dinge, die sie von Kant und Voltaire unterscheiden. Kant ist auch zu seiner Zeit bereits als Rassist bekannt gewesen. Voltaire war bekennender „Türkenhasser“. Er nennt sich selbst so in Briefen an Friedrich II.
Forster und Herder waren aber leider in Debatten ihrer Zeit verflochten. Der Göttinger Lichtenberg beispielsweise wehrte sich ganz stark dagegen vom Körperbau auf intellektuelle Fähigkeiten zu schließen. Er selbst war kleinwüchsig und einer der brillantesten Beobachter. Seine Aphorismen bereichern den Geist des Lesers. – Die Debatte der Zeit war es also, vom Körper auf den Intellekt zu schließen.
Herder stellte sich also Voltaire und manchen Ideen Kants entgegen, Forster stellte sich Kants einseitigem Rassismus entgegen. Von einem Überlegenheitsgefühl der Europäer waren alle beseelt. ABER: Forster fordert in seinem Essay „Noch etwas über die Menschenrassen“, dass die „Wilden“, so wurden von Europäern fremde Völker genannt, dass sie erzogen werden könnten. Erzogen werden bedeutet, dass sie beigebracht bekommen können, ihren Verstand selbst zu benutzen, Kunst und Wissenschaft zu lernen. Sie schreiben der Dunkelhäutigkeit nicht per se einen minderen Wert zu, wie es Kant tut. Und nein, nicht nur deutsche Denker. Erliegen wir bitte nicht der Vorstellung, dies sei ein deutsches Problem. Der Vater der U.S. amerikanischen Literatur Ralph Waldo Emerson beleidigt Araber und Türken aufs Gröbste… er sagt: „Indem wir sie als zivilisiert bezeichnen, kommen wir ihnen etwas entgegen.“ Der Deutsche möge hier etwas weniger auf sich selbst einschlagen. Was soll das ständig?
Georg Forster und Herder werden uns den Weg leuchten in eine Epoche, in der endlich auch Europäer lernen, verschiedene Religionen und Wahrheiten nebeneinander bestehen zu lassen. Die so gescholtenen und verteufelten Osmanen haben 218 Jahre, von 1299 bis 1517 über eine christliche Mehrheit geherrscht im eigenen Reich. Diese Minderheit wurde nicht als minderwertig bezeichnet. Konstantinopel zu erobern bedeutete für Ostrom die Abschaffung der Ständegesellschaft. Das vergessen wir in Europa sehr gerne… Wir können uns auf Grausamkeiten aus unserer Sicht fokussieren oder sehen die Leistungen. Herder lehrt, dass wir die Leistungen in den Vordergrund stellen müssen. Deshalb Herder. Er wurde von Nationalsozialsten missbraucht. Dieser große Geist wurde wie auch andere missbraucht.
Herder wies Voltaires Art des überheblichen Gehabes ab. Er lehnte es ab, Muslime zu diskreditieren und sich über sie, stellvertretend für die damalige Kirche, zu mokieren. Das Theaterstück Voltaires über Muhammed richtete sich an die damalige Kirche. Er hatte nicht den Mut direkt über sie zu schreiben. Herder greift eben das an; so auch Goethe. Katharina Mommsen hat darüber ausführlich geschrieben wieso Goethe es übersetzte. Ihre Beiträge mögen für mehr Informationen herangezogen werden. Siehe hierfür Mommsen Buch: „Goethe und der Islam“.
Herder und andere deutsche Denker wurden zu Unrecht missbraucht. Als Muslim weiß ich, dass der Missbrauch einer Sache ihren Wert nicht mindert. Islam wie ich ihn glaube und lebe ist der Islam Rumis, der Islam Yunus Emres. Ich würde es nicht so bezeichnen, doch in Europa würde man dazu humanistischer Islam sagen. Die Erörterung dieser Begriffe übersteigt jedoch hier den Rahmen. Der Islam wirkte dermaßen auf die damaligen Araber, dass sie sich zivilisiert haben. Sie kamen nach Europa und Herder und Goethe freuen sich darüber, dass sie kamen. Sie zivilisierten die vorgefundenen Europäer, denn sie lehrten Tischsitten, Reihenfolge in der Speise und vieles andere mehr. Die in Andalus lebenden Muslime waren mehrheitlich nicht Arabisch. Es waren indigene Europäer, von denen viele den Islam annahmen. Herder sagt, dass eben die Araber Europa die erste Aufklärung brachten. Dieses Einsehen ist eine deutsche Einzigartigkeit gewesen lange Zeit. Aber ich schweife ab.
Um Kant und Voltaire zu nutzen, müssen wir uns klar machen, dass sie von Hass und Hetze auf ihnen Fremdes beseelt waren. Ihr „Wir“ ist kein Inklusives. Es ist ein Exklusives. Sie erachten Europäer als den Adel der Welt an. Alle anderen seien Bauern. Bei Kant vor allem Menschen, die dunkelhäutig sind. Bei Voltaire vor allem Türken, Araber, was er als Muslime identifiziert.
Was lernen wir also von Forster und Herder? Als Europäer zu Unrecht einen Mann töteten und Forster Zeuge davon wurde, stellt er die Frage: „Was mussten die Wilden von uns denken?“– Wir, wir Europäer sind doch die Zivilisierten, wie können wir anderen Unrecht tun, wenn wir die kulturelle Überlegenheit besitzen? Und ja, das ist die richtige Frage. Jeder Mensch hat sein Weltbild, doch die eigene Haltung darf nicht dazu führen, andere herabzusetzen, sie zu diskriminieren, sondern es muss versucht werden, andere zu sich emporzuheben.
Europa täte es momentan gut, weniger über Menschenrechte zu reden und sie indes auf dem eigenen Kontinent im Alltag zu gewähren. Das heißt dafür zu sorgen, dass in Bus und Bahn, im Theater und anderer Öffentlichkeit niemand rassistisch angefahren wird. Der Alltag ist der Maßstab, denn der Alltag drückt aus, welche Wirkung sein Welt- und Menschenbild auf den einzelnen Menschen macht. Wenn andere respektlos behandelt werden, schließen wir auf ein verdorbenes Welt- und Menschenbild. Das ist kein Rassismus, das ist nachvollziehbar in allen Kulturen.
Möge Gott uns von Rassismus befreien. Ein Ausdruck davon im Alltag frei von Rassismus zu sein ist es Entschuldigungen für das Verhalten „Fremder“ zu suchen. Es mag sein, dass uns das Verhalten und Auftreten anderer Menschen befremdlich anmutet, aber wieso bin ich ihr Richter? Wieso immer beurteilen, was andere tun?
Jeder hat sich an das Grundgesetz zu halten. Dieses darf jedoch auch nicht ideologisch angepasst werden. Das wäre unausgesprochener Rassismus. Es gilt in alle Richtungen: Wer sich einem Gesetz nicht fügen will, muss den Ort verlassen, an dem es gilt. Dieser Satz ist kein Rassismus. Fügen heißt einhalten, und für diejenigen, die den Anspruch an sich haben: sich einbringen, um an der Kultivierung des gesellschaftlichen Miteinanders zu arbeiten.