Seit meiner frühesten Kindheit beobachte ich Menschen, Sitten und Gebräuche dieses Landes und bei den muslimgewordenen Deutschstämmigen fielen mir besondere Dinge auf.
Grundlegend und für ein erstes Verständnis, sie teilen sich in drei:
1. Die einen verabscheuen und schämen sich der europäischen Geschichte. Die künstlerischen und wissenschaftlichen Errungenschaften erkennen sie an, doch betrachten sie als Mittel, um das moralische Elend und die boshafte Politik europäischer Staaten gegenüber allem außereuropäischen in der Geschichte überzutünchen. Sie haben feste Begriffe von wahr und falsch. Sie selbst sind durch und durch europäisch, aber erkennen es nicht. Denn es ist dem europäischen Wesen, insbesondere der Deutschen zueigen, ständig in Kategorien wie richtig und falsch zu denken. Andernfalls hätten vor allem die Deutschen ihre Dichter nicht so gequält, vereinzelt gefoltert wie Hölderlin, und beständig eine Szene gemacht, wovon Goethe ein Lied singen kann.
Der Deutsche ist innerhalb Europas der ewig Verspätete. Daraus entstand ein Minderwertigkeitskomplex. Dieser Komplex haftet den deutschstämmigen Muslime an. (Den türkisch- und arabischstämmigen Muslimen haftet eine andere Form des Minderwertigkeitskomplexes an, dazu vielleicht wann anders mehr). Nun, den Islam angenommen, finden sie sich abermals als Verspätete wieder. Die großen Reiche der Muslime sind vergangen, sie trugen nichts dazu bei, keine künstlerischen, kulturellen oder wissenschaftlichen Beiträge, also flüchtet sich der deutschstämmige Muslim in die Theologie und nur in die Theologie. Dadurch verwildert er, doch hält sich für den Mann der wahren Sunna. Frömmigkeit (d.h. Ehrfurcht vor Gott, die sich in Gottesdiensten, Taten und Aktivitäten ausdrückt) verkommt zum Zweck statt als Mittel zu dienen ein besserer Mensch zu werden. Besserer Mensch werden bedeutet die dem Menschen eigentümlichen Eigenschaften auszuprägen. Eigentümlichkeiten des Menschen sind die Eigenschaften, die sich bei einem andern Geschöpf wie dem Tier nicht finden.
Der deutschstämmige Muslim flüchtet sich also in das, was er für Islam hält und kann fortan die Welt erklären: Das ist Halal, das ist Haram usw. Das sind Menschen, von denen Goethe sagt, dass sie auf der Stufe der Wildheit steckenblieben. Sie nehmen ihre Komplexe mit und ihre Komplexe verhindern, dass sie die glorreiche muslimische Geistesgeschichte weiterführen. Europäische Geistesgeschichte ist eine Fortsetzung der muslimischen. Um 1300 herum entwickelte sie sich in Anatolien in andere Richtungen und in Europa in eine andere Richtung. (Auch das ist hier nicht Thema, doch würde sich eine nähere Betrachtung lohnen.) Diese Muslime wären zu retten, wenn sie ihre ernsthafte Betrachtung der Theologie beibehalten und sich mit den Künsten befassen würden, ohne sich in ihnen zu verlieren, wie es die andere Art tut.
2. Die zweite Art hat sich mit der europäischen Geistesgeschichte auseinandergesetzt und tritt in einen intellektuellen Austausch. Dieser Austausch ist jedoch sehr einseitig, da der nichtmuslimische Europäer jeden intellektuellen Muslim für einen Ideologen hält, der ihn bekehren will. Der Europäer schließt von sich auf andere ohne es zu wissen, denn so ein Vorgehen kennt er von der europäischen Kirche, mit der er ganz im Geiste Voltaires, dem Ächter alles Außereuropäischen und vornehmlich Türkenhasser, den Muslim in Verbindung bringt. Aus diesem Grund tritt der nichtmuslimische Europäer nicht in wirklichen Austausch. Einen Platz in der Öffentlichkeit dürfe einem Muslim nicht geboten werden, denn er ist ja ein Verräter und Gefallener des weißen Gedankenguts Europas, von Europäern als „Herrenrasse“.
Die zweite Art Muslime also will sich mit mehr als bloß Theologie befassen, aber endet meist darin, dass sie die Theologie dermaßen bagatellisiert und zum Spielball ihrer eigenen Deutung macht, dass Islam dadurch christianisiert wird. Sie besitzen rhetorische Fähigkeiten und haben hier und da europäische Autoren gelesen und verfallen dem Fehler, die Maßstäbe Europas an ihren Glauben anzulegen. Früher war es besser, heutige Muslime aber… so taten es schon die Aufklärer: Avicenna ist gut, aber die Türken… der Türke als Symbol des Verfalls. Jeder kleine Fehler wird zu einem Kapitalverbrechen erklärt. Und selbst könne man nichts ausrichten außer sich zurückziehen vor der Übermacht der türkischen, mehrheitlichen Dummheit. Auch einige Türkischstämmige selbst unterliegen diesem Fehler. Sie sind die verwildertsten und unkultiviertesten aller Muslime: Sie haben weder den europäischen Geist der Aufklärung gefasst noch den anatolischen Geist der Herzlichkeit. Ibn Khaldun und die Kenntnis der anatolischen Ausprägung des Islam könnte sie erretten. Meist scheitern sie jedoch an ihrem gekränkten Ego, das sie hindert wohlgemeinte Hinweise als solche anzuerkennen. Sie sehen, wie Europäer, in all den Dingen Ideologie, die von der Mehrheitsgesellschaft nicht mit Applaus gewürdigt werden. Sie besitzen schlichtweg keinen Charakter und schmücken sich, die eigene Misere leugnend, mit rhetorischen Künsten ohne geistvollen Inhalt. Wer Platons Gorgias liest, kann sie mit Leichtigkeit demaskieren.
Nun die dritte und letzte Art deutschstämmiger Muslime. Diese sind die Minderheit. Absolute Minderheit momentan. Sie mehren sich. Diese deutschstämmigen Muslime beschäftigen sich mit den Künsten und der Wissenschaft und nehmen islamische Theologie ernst. Sie mögen teilweise die europäische Geschichte, teilweise verabscheuen sie sie. Untereinander sind sie uneins. Denn sie sind zu individualistisch. Sie erliegen dem Bewusstsein europäischer Philosophie, dass zwei Wahrheiten nebeneinander nicht bestehen können. Sie machen Witze, um ihre Einsamkeit zu übertünchen und Zynismus und Sarkasmus sind ihre Pose. Dadurch wähnen sie sich anderen überlegen. Sie kennen die anatolische Philosophie, die nicht nur zwei, sondern auch drei, vier und mehr Wahrheiten nebeneinander bestehen zulassen, nicht.
„Deutschland war mal gut, bis…“ Sie lieben Deutschland, manchmal eben auch mehr als die Wahrheit, jedoch merken sie diese Schwäche nicht. Die Liebe zu Deutschland ist Pflicht, doch darf sie nicht über die Wahrheit gestellt werden. Das tun sie unbewusst. Denn sie sind gekränkt in ihrem Stolz. Die deutsche Einsamkeit ist in ihnen und sie wittern Fehler in anderen Muslimen, wenn sie ihnen die Einsamkeit nicht nehmen. Sie wollen von Menschen, was nur Gott erfüllen kann. Das macht sie fast zu Menschenhassern, wie es üblich für europäische Intellektuelle ist (denn sie kennen die anatolische Wärme und Idee von Dienst für die Bevölkerung nicht), doch Menschenhass ist mit Gottergebenheit nicht vereinbar, also sagen sie: Wir müssen die Muslime lieben. Es bleibt bei einem Lippenbekenntnis. Sie können es nicht in Taten und im Alltag ausleben.
Die dritte Art könnten dadurch gerettet werden, dass sie ihr europäisches Verständnis von Philosophie ablegt. Es können Wahrheiten nebeneinander bestehen, auch zwei völlig verschiedene Geschichtsauffassungen. Das ist möglich. Sie sollten von Menschen nicht erwarten, was nur Allah geben kann. Andere für anstandslos zu erklären ist anstandslos. Anstandslosigkeiten anderer nicht geduldig zu ertragen ist anstandslos. Das weiß diese dritte Art nicht. Sie ist zu gekränkt und von Einsamkeit geplagt. Sich zusammenzuschließen könnte ihnen abhelfen, doch dafür müssten sie endlich begreifen, was wirklich Adab bedeutet, menschliche Wärme erst gegeben werden muss ohne zu lamentieren. Wärme lässt sich nicht einklagen, sondern ist ein Geschenk Allahs. Wieso gewährt Er es nicht? Selbstkritik… Leichtigkeit wäre ein Schlüssel.
Nun, möge Allah uns alle einander wertschätzen und lieben lehren.