Mit dem Namen, Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
„Mein Herr! Weite mir meine Brust und erleichtere mir meine Aufgabe und löse den Knoten meiner Zunge, damit sie meine Rede verstehen mögen.“
In Sure Al-i Imran, 3/190, sagt Allah teala:
„In der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Unterschied von Nacht und Tag liegen wahrlich Zeichen für diejenigen, die Verstand besitzen.“
Dieser Quranvers ist einer meiner absoluten Lieblingsverse! Seinen Verstand und sein Herz zu benutzen zählt zu den Wundern Muhammeds, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden.
Einige Menschen vom Stamm der Quraisch gingen zu Juden und fragten sie, welche Wunder Moses, Allah schenke ihm Frieden, gebracht habe. Sie antworten: „Seinen Stab und seine für Beobachter weiß scheinende Hand.“ (Vgl. Sure „Die Dichter“, 26/32f: „Da warf er seinen Stock hin, und sogleich war er eine deutliche Schlange. Und er zog seine Hand heraus, da war sie weiß für die Betrachter.“)
Daraufhin gingen die Leute der Quraisch zu den Christen und fragten, welche Wunder Jesus, Allah schenke ihm Frieden, gebracht habe. Sie antworteten: „Er heilte die Blindgeborenen und Weißgefleckten und erweckte die Toten wieder zum Leben.“ (Vgl Sure „Al-i Imran“, 3/49: „Ich werde mit Allahs Erlaubnis den Blindgeborenen und den Weißgefleckten heilen und werde Tote mit Allahs Erlaubnis wieder lebendig machen.“)
Daraufhin gingen die Leute der Quraisch zu Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, und baten ihn darum, ein Dua dafür zu machen, den Hügel Safa in Gold zu verwandeln. Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, machte ein Dua und als Antwort auf das Dua wurde der anfangs zitierte Quranvers offenbart: „In der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Unterschied von Nacht und Tag liegen wahrlich Zeichen für diejenigen, die Verstand besitzen.“
Das Wort, das hier für Verstand benutzt wird, lautet „al-bab“. Es ist der Plural von „lubb“. Wenn wir im Übersetzer von Langenscheidt nachsehen, findet sich dort, dass das Wort „al-bab“ sowohl Verstand als auch Herz bedeuten kann – alles Wissen und alles Lob gebührt Allah, dem Majestätischen! Er schuf den Menschen und legte in ihn sowohl Herz und Verstand und machte beide zu Werkzeugen der Erkenntnis.
Als Ibn Arabi, möge Allah sein Geheimnis heiligen, als Jugendlicher von nicht einmal 20 Jahren Ibn Ruschd traf, sagte Ibn Ruschd: „Ja?“ und Ibn Arabi antwortete: „Ja.“ – Als Ibn Arabi daraufhin sah, wie sehr sich Ibn Ruschd freute, sagte Ibn Arabi: „Nein.“ – Von diesem Ereignis berichtet er selbst in seiner „Futuhat“. Dies wird so gedeutet, dass Ibn Ruschd, der Mann des Verstandes, fragte, ob es mit dem Verstand möglich ist Allah zu erkennen. Ibn Arabi bejahte. Als er die Freude im Gesicht sah, fügte er ein „Nein“ hinzu, um verständlich zu machen, dass die Erkenntnis des Verstandes nicht an die Erkenntnis des Herzens heranreicht. Das Herz symbolisiert Tasawwuf und Kaschf. –
„In der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Unterschied von Nacht und Tag liegen wahrlich Zeichen für diejenigen, die Verstand/Herz (arab. al-bab) besitzen.“
Es gibt Verstandesmenschen und Herzensmenschen und solche, die sowohl als auch sind. Es liegt jedem Menschen selbst überlassen, auf welche Weise er Allah, den Majestätischen, erkennen möchte. Der Verstand wäre das Mittel der Aufklärung und das Herz das Mittel der Stürmer und Dränger. Sowohl Verstand als auch Herz klären auf. –
Muhammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, brachte dieses Wunder auf die Welt! Wer seinen Verstand und/oder sein Herz benutzt wird zu Wunderleistungen fähig sein!
Mit dem Verstand durchdringen wir
Die Welt und ihre tiefen Mythen,
Er unterscheidet uns vom Tier
Und lehrt uns wie ein Mensch zu brüten.
Das Herz erkennt, was der Verstand
Trotz aller Anstrengung nicht sieht,
Es führt uns in das Zauberland,
Vor dem der feige Mensch nur flieht.
Eines Tages kam Vabisa ibn Ma’bed zum Gesandten des Schönen, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, und sagte: „Ich bin gekommen, um dich nach dem Gutsein zu befragen. Der Prophet sagte: „Ja“ und richtete seine Finger auf das Herz Vabisas und sprach: „Höre auf dein eigenes Herz. Höre auf dein eigenes Herz. Höre auf dein eigenes Herz. Das Gute verleiht deinem Herzen Festigkeit und Gemütsruhe. Das Schlechte hingegen weckt Zweifel in deinem Herzen.“ (bei Ahmed ibn Hanbal überliefert, Musned, IV, 227-228)
Doch dieses Herz muss poliert werden, um es vom Rost zu befreien. Was nützt es ein Herz zu fragen, das von Rost befallen ist? Das Bedenken des Todes und das Lesen des Qurans befreien das Herz von Rost, sagt der Gesandte des Schönen und Guten in einem anderen Hadith. Wir leben einzig und allein deshalb, um Allah, den Schönen und Wahren, zu erkennen. Alles deutet auf Ihn hin! Das Blatt, das fällt, der Baum und sein Schatten, der Himmel und die Nacht, absolut alles… wir müssen die Welt mit den Augen eines Poeten betrachten lernen, wie die alten Araber. Sie waren allesamt Poeten! „Solange das Kamel nicht aufhört zu wiehern, hört der Araber auch nicht auf zu dichten“ sagt der Gesandte des Wahren und Schönen, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden!
Mit den Augen eines Dichters
Lässt die Welt sich klarer sehen;
Nichtig ist sie ohne Lichter:
Ach, die Welt wird untergehen.
Der würdevolle Rumi sagt in seinem unsterblichen Mesnevi, dass der Verstand mich zum Arzt zu führen habe. Wenn er aber erst einmal beim Arzt ist, er sich diesem Arzt innigst hingeben muss, um gesunden zu können. Wovon müssen mir gesunden? Der würdevolle Rumi sagt: „Weisheiten sind Allahs Armeen. Mit ihnen stärkt Allah die Seelen der Suchenden und reinigt ihr Wissen von Ignoranz, ihre Gerechtigkeit von Tyrannei, ihre Freigebigkeit von Prahlerei und ihre Güte von Dummheit.“ – Doch der würdevolle Rumi benennt das so täuschende am Verstand: „Jeder Lesende versteht das Gelesene nur nach Maßgabe seines Verstandes.“ –
Ein angehender Chirurg lernt vom Chirurgen. Ein Chirurg, der nie einem Chirurgen assistierte – er mag einen noch brillanten Verstand besitzen – wie soll er je eine Operation durchführen können? Sein Verstand lehrt, dass er vorerst assistieren muss…
„In der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Unterschied von Nacht und Tag liegen wahrlich Zeichen für diejenigen, die Verstand/Herz (arab. al-bab) besitzen.“
Himmelleicht ist, wer sich selbst befreit
Von Arroganz und Hochmut, Eitelkeit –
Wie ein Wurm wird in der Erde bleiben,
Wer stets den Drang verspürt sich selbst zu zeigen.
Was lernte der würdevolle Rumi von der Nacht? Er sprach: „Sei im Verdecken der Fehler anderer wie die Nacht.“ Was sollten wir vom Tag lernen? Bringe wie der Tag die guten Seiten der Menschen ans Licht. Was löscht das Licht aus? Zu diskutieren. Der Gesandte des Schönen und Wahren, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, sagte: „Wer Rechtleitung (arab. Hidaya) erlangt, soll Streitigkeiten meiden. Wer streitet, entfernt sich von der Rechtleitung.“ (Tirmidhi, Ibn Mace)
Leider versäumen wir es unseren Verstand und unser Herz zu benutzen, um die Schönheit und Weisheit Allahs, des Majestätischen, immer mehr zu erkennen, weil wir indessen damit beschäftigt sind, die Falschheit anderer Menschen aufzuzeigen. Wie Sophisten! Möge Allah, der Majestätische, uns vor ihrem Schaden bewahren! Der würdevolle Rumi sagt in seinem unsterblichen Mesnevi: „Dein Nafs ist ein Sophist! Es hört nicht auf Argumente, du musst es schlagen, damit es zur Besinnung kommt.“ Der größte Schlag für das Nafs ist es, Nahrung zu vermindern… Gebete, Lesen im Quran, Nachts im letzten Drittel aufstehen und beten, fasten – diese Dinge stärken den Verstand und das Herz, damit Verstand und Herz frei sind von den Ketten, die ihn an irdische Schlussfolgerungen binden. Unser Dichterfürst lehrte uns: „Frömmigkeit ist kein Zweck, sondern ein Mittel, um durch die reinste Gemütsruhe zur höchsten Kultur zu gelangen.“ Wenn wir beten, fasten und Quran lesen, werden wir frommer. Das heißt wir gelangen zu einem stärkeren Gottesbewusstsein (arab. Taqwa). Frömmigkeit ist aber kein Selbstzweck. Ich bete und faste nicht einfach nur um gebetet und gefastet zu haben. Frömmigkeit bedeutet Weltverzicht. Die Leere, die durch den Verzicht entsteht, muss aber gefüllt werden – mit Nachdenken darüber, wie meinen Mitmenschen geholfen werden kann; Nachdenken darüber, welche Fähigkeiten ich besitze oder ausbilden muss, um meinen Mitmenschen zu helfen. Wobei helfen? Frieden mit sich und ihrem Umfeld zu schließen. Doch wie soll jemand, der selbst keinen Frieden mit sich und seiner Umwelt schloß, andere zum Frieden führen? Nur indem wir unseren Verstand und/oder unser Herz nutzen, indem wir die Zeichen erkennen, können wir anderen nützlich sein: „Was hat der Mensch dem Menschen Größeres zu geben als Wahrheit?“ (Friedrich Schiller)
Die Gedanken unseres Nationaldichters runden die Denkanstöße ab: „‚Wo ich nütze, ist mein Vaterland!‘ Zu Hause kann einer unnütz sein, ohne daß es eben sogleich bemerkt wird; außen in der Welt ist der Unnütze gar bald offenbar. Wenn ich nun sage: ‚Trachte jeder, überall sich und andern zu nutzen!‘, so ist dies nicht etwa Lehre noch Rat, sondern der Ausspruch des Lebens selbst.“ (Goethe: Wanderjahre)
Möge Allah teala uns Seine Zeichen mit dem Verstand und Herzen erkennen lassen. Möge Er uns zu denen machen, die ihr Herz regelmäßig polieren. Möge er uns fromm und bewusst leben lassen, damit wir in der Lage sind, das Schöne und Wahre zu erkennen. Möge Er uns zu einer Bereicherung der Gesellschaft und der Menschheit machen… (Amin)